Türkische Unternehmer in Deutschland: Chance für die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen?
Die Bedeutung von Migranten für die deutsche Wirtschaft nimmt immer mehr zu – sowohl Bedeutung der Migranten als Konsumenten als auch als Unternehmer. Mittlerweile verfügen 16,5 Mio. Menschen in Deutschland über Migrationshintergrund (ca. 20% der Bevölkerung). Allein 2013 sind über 1,2 Mio. Menschen nach Deutschland eingewandert. Migranten sind jünger als die deutsche Bevölkerung: Das Durchschnittsalter beträgt 35 Jahre vs. 47 Jahre bei deutscher Kundengruppe. Abhängig von der Migrantengruppe verfügen 15-22% aller Migranten über ein Haushalts-Nettoeinkommen von mehr als 3.200 EUR/Monat. Die Sparquote liegt bei Migranten bereinigt nur leicht unter der Quote einheimischer Haushalte. Migranten sind auch ein entscheidender Wachstumsfaktor für die deutsche Wirtschaft. Das BIP wäre z.B. 2013 ohne Zuwanderung leicht geschrumpft anstatt um 0,4% zu wachsen.
Keine Frage: Kunden und Unternehmer mit Migrationshintergrund sind inzwischen ein Wachstumsmarkt für viele Branchen bzw. ein wichtiger Wachstumsfaktor für deutsche Wirtschaft insgesamt. Besonders interessant: Die Anzahl von Gründer bei Migranten ist überdurchschnittlich hoch. Hatte noch 2007 ein Viertel aller gründenden Personen einen ausländischen Pass, war dies im Jahr 2013 bereits bei der Hälfte (48 Prozent) der Fall. Damit gründen Migranten prozentual häufiger eine Unternehmung als Deutsche. Dabei erfasst die Gewerbeanzeigenstatistik keinen Migrationshintergrund, sondern (bei Einzelunternehmen) die Staatsangehörigkeit der gründenden Person. Würde man neben der Nationalität auch die Herkunft mit berücksichtigen, wäre der Anteil der Gründer mit Migration noch höher.
Bei Produktinnovation, Alter der Produktionstechnologie sowie Produktionsverfahren sind ausländische Gründer auf dem gleichen Stand wie Deutsche. Allerdings sind Neuunternehmen von Migranten durchschnittlicher größer als deutsche Gründungen. Mehr als 70% der unternehmerisch tätigen Migranten beschäftigen bei Eintritt in die Selbstständigkeit bereits Mitarbeiter oder haben dies vor. Bei den Einheimischen fällt dieser Anteil mit knapp über 50% deutlich geringer aus. Migranten sind bei der Existenzgründung zudem jünger: Knapp die Hälfte (48%) der ausländischen Gründer ist unter dreißig Jahre alt, bei Deutschen sind dies nur 37%. Frauen sind in der Gruppe der Migranten als Gründer mit einem Anteil von nur 32% unterrepräsentiert. Der Anteil einheimischer Gründerinnen liegt hingegen immerhin bei 43%.
Darüber hinaus besitzen Migranten kulturspezifische Alleinstellungsmerkmale und Kontakte zu ihrem Heimatland, die sie unternehmerisch nutzen können. Dies könnte erklären, wieso die Unternehmen ausländischer Gründer häufiger einen hohen Exportanteil aufweisen. Zudem bestehen Unterschiede in der Qualifikation. Der Anteil der hochqualifizierten deutschen Gründer ist deutlich höher als bei Gründern mit Migrationshintergrund (37% vs. 25%).
Ein Grund für den hohen Anteil an Gründen unter Migranten ist sicherlich, dass Unternehmensgründungen ihnen eine Möglichkeit zum sozialen Aufstieg bieten. Da Migranten meist über gute Netzwerke, aber tendenziell über eine geringere Qualifikation als Einheimische verfügen, ist die Möglichkeit für den sozialen Aufstieg durch Selbstständigkeit attraktiver als die Alternative, sich in einem Unternehmen hochzuarbeiten. Zahlen des Global Enterpreneurship Monitors (GEM) legen zudem nahe, dass die höhere Selbstständigenquote bei Migranten teilweise auf schlechtere Arbeitsmarktbedingungen zurückzuführen sein könnte. Auch ist die Abbruchquote bei zugewanderten Selbstständigen höher als bei Deutschen. So haben bereits ein Fünftel (21%) aller Migranten ihre Unternehmung ein Jahr nach Gründung wieder aufgegeben.
Unter Migranten, die ein Unternehmen gründen, sind Menschen mit Wurzeln aus der Türkei mit 12% wiederum mit einer der größten Gruppen (rd. 10.000 Gründungen in 2013). Dabei ist die wirtschaftliche Dynamik unter türk. Unternehmen in Deutschland beeindruckend. Die Anzahl von türkischstämmigen Bürgern geführter Unternehmen in 2015 wird auf rd. 90 Tsd. geschätzt. 1985 waren es noch 22 Tsd. Unternehmen, ein Anstieg also von 260% innerhalb von drei Jahrzehnten.
Der Umsatz in türk. Unternehmen wurde zwischen 1997 und 2010 um durchschnittlich 44% auf geschätzte 40 Mrd. EUR in 2015 erhöht. Die Beschäftigtenzahl in türk. Unternehmen hat zwischen 1997 – 2010 um 90% zugenommen. In 2015 wird Anzahl von Mitarbeitern in türk. Unternehmen in Deutschland auf 470 Tsd. Beschäftigte prognostiziert. Aber nicht nur die Quantität ist beeindruckend, auch die Qualität bei türk. Unternehmen nimmt zu. Der Schwerpunkt türk. Unternehmen liegt im Bereich Handel (35%) und Gastgewerbe (26%), jedoch ist eine verstärkte Branchen-Diversifizierung festzustellen.
Türkische Unternehmen sind zunehmend auf dem Weg zu Kapitalgesellschaften und Publikums-AGs. Aufgrund des großen Nachholbedarfs ist eine Zunahme türk. Unternehmen im Handwerk und im produzierenden Gewerbe in Folgejahren zu erwarten. In der Gastronomie und im Einzelhandel, den klassischen Bereichen des Ethnic Business, wird Anstieg dagegen flacher werden. Mit der Zunahme des Bildungsniveaus unter türk. Bürgern werden sicherlich auch immer mehr Unternehmen in bisher unterrepräsentierten Branchen wie z.B. Dienstleistungen und verarbeitendem Gewerbe aktiv werden.
Türkische Unternehmen werden häufig im Familienverbund geführt und sind untereinander gut vernetzt. Der Austausch mit deutschen Unternehmern und Institutionen ist hingegen zumindest teilweise ausbaufähig. Gerade für Unternehmen, die z.B. expandieren möchten, kann ein gutes Netzwerk mit deutschen Einrichtungen und persönliche Kontakte zu deutschen Unternehmern einen großen Vorteil darstellen. Türkische Konsulate in Deutschland und die TD-IHK sind in diesem Kontext ebenfalls aktiv. Sie führen immer wieder Fachveranstaltungen für türkischstämmige Unternehmer durch, um diese z.B. über die Wirtschaftsförderungslandschaft in Deutschland zu informieren. Hier könnte die Zusammenarbeit von Seiten der IHKs intensivieren werden, indem man auf die spezifischen Wünsche und Bedürfnisse türk. Unternehmer stärker eingeht.
Ihre finanziellen Bedürfnisse unterscheiden sich nicht wesentlich von deutschen Unternehmern. Es gibt jedoch eine stärkere Affinität zu Geschäftskrediten als bei deutschen Firmenkunden, wobei türkische Selbständige im Allgemeinen sehr gute Kreditnehmer sind, da sie wenig Ausfälle haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit liegt die Bereitschaft zur Aufnahme von Krediten an der allgemein höher ausgeprägten Risikobereitschaft türk. Unternehmer. Denn Migration – so eine gängige Annahme – impliziert den Willen zur Übernahme von Risiko.
Unternehmertum und Selbständigkeit wird gerade bei türk. Unternehmern mentalitätsbedingt häufig als Mittel zum sozialen Aufstieg betrachtet. Aufgrund des engen Austausches innerhalb der Zielgruppe sprechen sich Erfolge schnell herum. Erfolgreiche türk. Unternehmer, die den sozialen Aufstieg geschafft haben, werden von der türkischen Community häufig als Vorbilder betrachtet und geniessen ein hohes Ansehen. Entsprechend groß ist daher die Zahl derer, die diesen Unternehmern nacheifern bzw. nacheifern möchten.
Türk. Unternehmen nehmen auch eine wichtige Mittlerrolle in der Zusammenarbeit zwischen der Türkei und der Bundesrepublik ein, weil sie in beiden Welten zuhause sind. Gerade weil so viele türk. Unternehmer im Bereich des Im-/Exports und des Handels aktiv sind, sind sie der natürliche Mittler zwischen beiden Welten.
Die Kooperation zwischen der Türkei und Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren in allen Bereichen positiv entwickelt. Das bilaterale Handelsvolumen erreichte im Jahr 2013 mit einem Anstieg von nahezu 5% einen neuen Rekordwert von insgesamt 33,8 Mrd. EUR. Insgesamt gibt es fast 6.000 deutsche Unternehmen in der Türkei.
Die Türkei kann als ein Markt mit großen Chancen für deutsche Unternehmen gesehen werden. So sind z. B. die gute geographische Lage und die qualifizierten Arbeitskräfte eine große Stärke. Der Chef von Mercedes-Benz Türk zu den Vorteilen: „Sie haben dieselbe Qualifikation, kosten aber nur halb so viel wie in Deutschland. Der Krankenstand ist nur ein Drittel so hoch wie in Deutschland, gearbeitet wird 6 Tage die Woche, 45 Stunden lang bei nur 15 Urlaubstagen im Jahr. Eine Stunde eines Werkarbeiters kostet Kurz etwa 8 Euro – etwas weniger als in Brasilien, viel weniger als daheim in Schwaben.“
Zu den 6.000 deutschen Unternehmen in der Türkei kommen jedes Jahr etwa 300 dazu, Tendenz steigend. Es gibt Winzergenossenschaften, Computerservices und mittelständische Existenzgründer.
Vor dem Hintergrund des allgemein erhöhten Zugangs zu medizinischer Versorgung in der Türkei wächst der Bedarf an Produkten, speziell Hightech-Geräten aus der Medizintechnik, zunehmend, was gute Absatzchancen für deutsche Unternehmen ermöglicht. Daneben werden in den kommenden Jahren die von der türkischen Regierung vorangetriebene Infrastrukturprojekte im Verkehrs- und Energiesektor zum einen im Bereich der Baumaschinen, aber auch allgemein für Produkte aus dem Bausektor gute Aussichten bieten.
Darüber hinaus ist die Nachfrage nach Tourismusinfrastruktur in der Türkei sehr hoch. Die Tourismuseinnahmen stiegen in den vergangenen Jahren kontinuierlich an und sollen 2025 100 Milliarden US-Dollar erreichen. Daher befinden sich zahlreiche Hotelprojekte in Bau und Planung. Daraus ergeben sich auch Chancen für deutsche Hersteller. Es gibt aber auch einige Herausforderungen und Risiken: Zum einen sind die hohe Abhängigkeit von Energie- und Rohstoffimporten und die geringen Aussichten auf Fortschritte bei den Verhandlungen mit der EU zu nennen. Zum anderen sollten deutsche Unternehmen die Währungsinstabilität berücksichtigen.
Für deutsche Unternehmen, die in den Markt Türkei investieren möchten, kann das Finden des richtigen Handels- und Vertriebspartners in der Türkei häufig recht lange dauern und sehr mühselig sein. Viele gute türkische Partner sind bereits ausgelastet und haben auch ausländische Unternehmen, mit denen sie zusammenarbeiten. Die richtige Ansprache, das Aufbauen von Vertrauen und die Nachhaltigkeit in der Geschäftsanbahnung sind dann wesentliche Aspekte des Erfolges. Hier hilft u.a. die TD-IHK in Deutschland. Diese nutzt sein Netzwerk, seine Erfahrung und seine Kulturkenntnisse, um den richtigen Vertriebspartner für die deutschen Unternehmer in der Türkei zu finden und die Zusammenarbeit zu starten. Dabei begleitet sie die deutschen Unternehmen von der Identifikation von Potenzialen und den ersten Gesprächen bis hin zum Geschäftserfolg.
Bei Investitionen und Unternehmensgründungen deutscher Unternehmen in der Türkei unterstützen aber auch Berater, die sich hierauf spezialisiert haben. In der Gründungsphase helfen diese Berater bei der Suche nach Personal, Büros oder Grundstücken. Daneben ist die Deutsch-Türkische Außenhandelskammer (www.dtr-ihk.de ) in Istanbul eine große und wichtige Anlaufstelle vor Ort. Sie hat 670 Mitglieder, bietet Seminare an und vermittelt Kontakte zu Beratern.
Das persönliche Miteinander ist das Bindemittel der türkischen Wirtschaft: sich gegenseitig großzügig zum Essen einladen, auch über Privates reden und immer wieder Tee trinken. Auch als deutsches Unternehmen sollte man sich nicht auf den Schriftverkehr verlassen. Am Ende ist es meist die persönliche Chemie, die entscheidet. Wer sich als Deutscher die Mühe macht, ein wenig Türkisch zu lernen, ist dabei klar im Vorteil.
Alles in allem zeichnen sich türk. Unternehmen in Deutschland sowie die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen durch eine erfreuliche Dynamik aus. Durch einen stärkeren Erfahrungsaustausch zwischen deutschen und türkischen Unternehmern in Deutschland könnten beide Seite noch stärker voneinander profitieren. Wünschenswert wäre daher, wenn Unternehmerverbände (deutsche wie türkische) Initiativen ergreifen würden, um den gegenseitigen Austausch weiter zu vertiefen. Hiervon würden alle Seiten profitieren.